P. Schöttler: Das Max-Planck-Institut für Geschichte im historischen Kontext 1972–2006

Titel
Das Max-Planck-Institut für Geschichte im historischen Kontext 1972–2006. Zwischen Sozialgeschichte, Historischer Anthropologie und Historischer Kulturwissenschaft


Autor(en)
Schöttler, Peter
Reihe
Ergebnisse des Forschungsprogramms Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Preprint 15
Anzahl Seiten
207 S.
Preis
Open Access
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Winfried Schulze, Ludwig-Maximilians-Universität München

Nachdem Peter Schöttler 2017 bereits eine Geschichte der Gründung des Max-Planck-Instituts für Geschichte und der Ära Heimpel (seines Gründungsdirektors) veröffentlicht hat1, folgt jetzt seine Geschichte des Instituts bis zu seiner Auflösung im Jahr 2006. Beide Publikationen sind Teil eines größeren Forschungsprogramms zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) von ihrer Gründung 1948 bis zum Ende der Präsidentschaft Hubert Markls 2002, allerdings mit Einschluss des Programms „Aufbau Ost“, das bis 2005 reichte.

Der nun vorliegende Band muss das besondere Interesse der Historiker hervorrufen, denn die Auflösung dieses Instituts war die erste und bislang einzige (de facto)-Auflösung eines historischen Forschungsinstituts nach der Gründung der Bundesrepublik, deren Geschichte eigentlich eine Erfolgsgeschichte hinsichtlich der Einrichtung historischer Forschungsinstitute darstellt.2 Zudem handelte es sich bei dem Göttinger Institut um eine Forschungseinrichtung, die sich im Laufe der Jahre im In- und Ausland einen hervorragenden Ruf als innovatives Forschungszentrum erworben hatte und deren Schicksal deshalb besonderes Interesse beanspruchen kann.

Schöttler gliedert die rund 50-jährige Geschichte des Instituts in acht größere Kapitel, die sich zum einen auf die beiden Nachfolgen – Übergang von Hermann Heimpel zu Josef Fleckenstein und Rudolf Vierhaus 1971 (Kapitel I) und von diesen beiden auf Otto Gerhard Oexle und Hartmut Lehmann (Kapitel VI) – beziehen. Dabei fallen die unterschiedlichen Vorgehensweisen und Kriterien bei der Findung der Kandidaten auf. Zum anderen wird aber auch die inhaltliche Entwicklung des Instituts detailliert thematisiert, so etwa die Langzeitprojekte „Germania Sacra“, die „Königspfalzen“ und der „Dahlmann-Waitz“ (Kapitel III). Zur Sprache gebracht werden auch die Schwerpunktveränderungen der 1970er- und 1980er-Jahre, wie die Protoindustrialisierungsforschung und die Entstehung der „Mission Historique Francaise“ (Kapitel IV). Darüber hinaus wird das Verhältnis des Instituts zu den Historikern der DDR in einem eigenen Kapitel gewürdigt, zumal sich aus der Zusammenarbeit bzw. Konkurrenz des „Dahlmann-Waitz“ mit den „Jahresberichten für deutsche Geschichte“ Probleme ergaben (Kapitel V).

Den Höhepunkt des Bandes bildet gewissermaßen das Kapitel über die Vorgeschichte der Schließung 2006, die sich von der ersten Schließungsankündigung bis zum „magischen Jahr“ 2004 hinzog, als es nicht gelang, geeignete Nachfolger für die ausscheidenden Direktoren Oexle und Lehmann zu etablieren und daraufhin die MPG die Schließung der beiden Abteilungen Mittelalter und Neuzeit und die Umwidmung des Instituts zu einem „Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften“ vornahm. Der Band wird abgeschlossen durch sehr hilfreiche Verzeichnisse der Mitarbeiter des Instituts, seiner Veröffentlichungen, seiner Beiratsmitglieder und Tagungen sowie einige Grafiken zur Personalstruktur. Die Grundlage der Darstellung bilden zuerst die Akten des Instituts im Archiv der MPG, die Nachlässe der Direktoren sowie – hier besonders hervorzuheben – zahlreiche Gespräche des Verfassers mit noch lebenden Mitgliedern des Instituts, die für detaillierte Einblicke in die Wirklichkeit des Institutslebens sorgen.

Dieser Überblick über die Anlage des Bandes und seiner Grundlagen kann nur einen ersten Hinweis auf die inhaltliche Fülle des Textes geben, der auch einen Einblick in die Geschichte unseres Fachs von den 1950er-Jahren bis zum Beginn des neuen Jahrtausends aus Göttinger Perspektive bietet, von der patriarchalischen Attitüde, mit der Hermann Heimpel das Amt zelebrierte, bis zu dem neuen liberalen Führungsstil, wie er vor allem seit Rudolf Vierhaus üblich wurde. Deutlich erkennbar wird der Übergang von der noch eher traditionellen Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit zu den Diskussionen um eine Historische Kulturwissenschaft, wie sie in der Endphase des Instituts programmatisch, aber vergeblich formuliert wurde (die letztlich wirkungslose Denkschrift von 2004 ist im Anhang abgedruckt).

Schöttler hebt zu Recht hervor, dass das Institut einen wesentlichen Beitrag zur Erneuerung der deutschen Geschichtswissenschaft geleistet habe, stellt insbesondere innovative Themenstellungen (Protoindustrialisierung, Digitalisierung, Kulturanthropologie) und seine Leistungen in der Internationalisierung der deutschen Geschichtswissenschaft durch Tagungen und (begehrte) Einladungen ausländischer Forscher heraus. Dabei erkennt er aber auch die offensichtlichen Schwächen des Konzepts der beiden rivalisierenden Abteilungen, die kaum zu einer wirklich einheitlichen Strategie geführt hätten. Die personalpolitisch riskante Bereitstellung und Besetzung zahlreicher Dauerstellen in den 1960er- und 1970er-Jahren musste sich vor allem ab dem Zeitpunkt als besonders gefährlich auswirken, als die MPG bei den Neubesetzungen der 1990er-Jahre keine neuen Stellen mehr bewilligen konnte oder wollte und so das Leben des Instituts erschwerte. Nicht zuletzt deshalb verlor das Institut seine Attraktivität: Die Rufablehnungen durch Jürgen Kocka, Jürgen Osterhammel, Frank Rexroth und Claudia Rapp bestätigten diesen Sachverhalt, auch wenn jeweils persönliche und andere sachliche Gründe eine Rolle bei den Entscheidungen spielten. Das Institut – das wird deutlich – zog nicht mehr die Besten an.

Schöttlers Darstellung ist durchaus ausgewogen, neben den evidenten Leistungen werden auch die Problembereiche genannt. In der Gesamtbeurteilung fällt auf, dass die Analyse der Endphase des Instituts zwischen 1996 und 2006 hinsichtlich der Motivlage der MPG und ihres Präsidenten relativ undeutlich bleibt. Letztlich findet sich kein wirklich belastbares Argument für die Schließung dieses relativ kleinen und „preiswerten“ Instituts, aber auch die Schlussphase mit den misslingenden Berufungen wird nicht thematisiert. Hier bleiben Fragen offen.

Anmerkungen:
1 Peter Schöttler, Das Max-Planck-Institut für Geschichte im historischen Kontext. Die Ära Heimpel (Ergebnisse des Forschungsprogramms Geschichte der Max-Plack-Gesellschaft, Preprint 2), Berlin 2017.
2 Vgl. den ersten Überblick in Winfried Schulze, Die deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, bes. S. 228ff.

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